Historiker Prof. Dr. Hans Ottomeyer über die Kulturgeschichte der Suppe.
Speisen sind Teil der Kultur und haben ihre eigene Geschichte. Suppe ist ein Urelement der Küche. Wenn der Braten der Vater ist, dann ist die Suppe die Mutter der Kochkunst. Von ihr abgeleitet sind alle Saucen, Eintöpfe, Brühen, Breie – kurz alles in Wasser, Milch und Wein Gekochte.
Kleine Kulturgeschichte der Suppe
von Prof. Dr. Hans Ottomeyer (Historiker, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum)
Speisen sind Teil der Kultur und haben ihre eigene Geschichte. Suppe ist ein Urelement der Küche. Wenn der Braten der Vater ist, dann ist die Suppe die Mutter der Kochkunst. Von ihr abgeleitet sind alle Saucen, Eintöpfe, Brühen, Breie – kurz alles in Wasser, Milch und Wein Gekochte. Die erste Suppe, die Ursuppe, garten die Steinzeit-Menschen mit glühenden Steinen in wasserfest gemachten Säcken oder Gefässen. Uralt ist auch das Wort selbst: Supen bezeichnet das Saufen, Saugen, Schlürfen und kommt als Hauptwort in allen europäischen Sprachen vor. Auch die romanischen Sprachen haben es aus den germanischen Sprachen entlehnt, Sopa im Spanischen, Portugiesischen und Provenzalischen heisst Soupe im Französischen oder Zuppa in Italien; Soep und Soup versteht jeder. In ihrer archaischen Frühzeit existierte Suppe zuerst als warme Morgensuppe. Sie wurde als Getreideschrotbrei zubereitet, von dem sich Römer, Ritter, Patrizier, Bauern über Jahrtausende ernährten und der in der Hafergrütze oder dem Porridge bis heute fortlebt.
Ein anderes lebendiges Fossil der Küchengeschichte begegnet uns im Pot au feu, dem ewig siedenden Kochtopf, in dem sich alles sammelt, was der Tag und das Jahr bringt: Gemüse, Fleisch, Wurzelwerk, das jedesmal eine andere Nuance annimmt, jedoch immer das gleiche bleibt und sich stets erneuert. Für jeden ist immer etwas da. Die Suppe hat Urtugenden: Sie wartet, sie erneuert sich, sie wird bei jedem Aufkochen besser, sie kann sich wandeln.
Suppe ist ein Essen für viele: Die Technologie des Kochtopfes entwickelt im Mittelalter den 100 Liter-Topf aus Eisenblech. Das Geheimnis jeder guten Suppe wird dadurch bedingt, dass sie ganz langsam lange gart, die Zutaten allmählich zu einem Ganzen amalgieren und aus der Alchemie einfacher Zutaten etwas vollkommen Neues erwächst.
Suppe als hoffähige Speise
Die Spanische Suppe nahm hier ihren Anfang: Zu Beginn Festessen kastilischer Bauern, dann Familienessen der Bourbonen und Habsburger. Mit ihr nahm der soziale Aufstieg der Suppe seinen Anfang und vollendete sich im Prunk und Glanz höfischer Prachtentfaltung. Die Olla podrida, auch zärtlich Olla oder Oille genannt, war ein opulentes Mischgericht von Schlachtfleisch, zumindest Rind, Lamm, Schinken gehörten hinein, vielerlei Geflügel, allerlei Gemüse, das auf den Punkt zusammen gegart wurde. Für weniger als 30 Personen machte das Ganze wenig Sinn. Wildgeflügel, Kichererbsen und spanische Chorizos gaben der Suppe Charakter. Anfangs kamen die Zutaten auf Platten garniert auf den Tisch, und die Brühe wurde vorab gegeben.
Um 1900 wurde nur noch die klarifizierte Bouillon serviert. Dieses Pot Pourri bildete die obligate Mitte auf dem Tisch der barocken Herrscher. Die Olla machte die Suppe hoffähig und brachte auch alle anderen Rezepturen auf die Tische der Herren. Terrinen waren ursprünglich, wie das Wort vermeldet, einfachste irdene Suppenschüsseln. Jetzt wurden sie aus Gold und Silber kunstvoll von den vornehmsten Pariser Bildhauern und Handwerkern angefertigt und kosteten ein Vermögen. Nie kamen Suppen zu grösseren Ehren, denn les Bourbons aiment de la soup und alle, die etwas auf sich hielten, taten es den französischen Königen gleich. Nur noch die Stör- und Sterletsuppe der russischen Bojaren konnte es an Prestige mit der Olla aufnehmen. Beide sind untergegangen und vergessen. Sie leben nur noch in den Worten und dem kostbaren zugehörigen Gerät, das die Museen verwahren oder das Sammler mit Millionen-Beträgen bezahlen.
Suppe als Wunder der Ökonomie
Den barocken Festfreuden folgten die vernünftigen, strengen Prinzipien der Aufklärung. Hier erfuhr Suppe ihre Neuinterpretation. Sie wurde zur Vernunft gebracht, und was ist vernünftiger als Suppe, ein Wunder der Ökonomie, Mittel des social engineering! Dem bayerischen Grafen Rumford, als britischer Untertan Benjamin Thompson (1753 – 1814) in Massachusetts geboren, gelang der grosse Schlag: Nachdem er zuerst die Wärme – Theorie von den bewegten Molekülen formuliert (1798) und konsequent den geschlossenen Herd erfunden hatte, ging er daran, die Massen zu speisen. Nach kalorischen, ergonomischen, physiologischen Berechnungen konnte dies nur eine minimalische Gemüse-Graupensuppe sein, die fortan in den Armenküchen, Suppenanstalten und Feldküchen Europas als Rumfordsuppe von der Obrigkeit verabfolgt wurde. Zwischen sozialer Wohltat und kulinarischem Zynismus verschwand so jeder Unterschied.
Der grosse deutsche Kunsthistoriker und Gastrosoph Carl Friedrich von Rumohr (1785 – 1843) kennt die Rumfordsuppe, zieht ihr aber seine vereinfachte Olla podrida vor, um sich von der fetten, völlig überwürzten Küche seiner Zeitgenossen zu befreien und davon zu heilen. Dass Suppe gesund sein kann, war eine Grunderkenntnis der Aufklärung, und der Maler Jean-Baptiste Chardin (1699 – 1749) verherrlichte in seinem Küchen – Stilleben die Elemente einer guten Fleisch-Gemüsebrühe.
Von der Suppe zum Restaurant
Eine treffliche Bouillon war auch die Ursuppe der Restaurants. Restaurant hiess ursprünglich ein Consommé, das in Paris kurz vor der 1789er Revolution als eine die Kräfte wieder herstellende Gesundheitssuppe verschiedentlich in öffentlichen Garküchen auf Einzeltischen den Gästen angeboten wurde und bald diesen neuen Institutionen den Namen gab. Und tatsächlich war das Geheimnis der vielen köstlichen gebundenen und klaren Suppen, der Unzahl von Saucen, Aspiks, Gelées und Fleischzubereitungen eine Suppenbrühe, die in einem grossen Topf brodelte. Dies war der Ursprung aller Gastronomie-Geheimnisse des XIX. Jahrhunderts. Der Fonds war die Basis der Grande Cuisine von Carême bis Escoffier, der Grundstoff aller Raffinements. Entweder eine Morchel, ein Krebsschwanz, dünne Trüffelscheibchen, ein Schuss Sherry oder Madeira, eine Prise Safran oder etwas Kerbel: Schon wird aus einem Fonds eine Köstlichkeit.
Nichts lässt sich schneller aufwerten als eine Suppe. Die Ökonomie des Luxus in der Küchenkunst findet ihre Antwort in den Suppen. Suppen sind par excellence Familienessen, Leibspeisen und Nationalgerichte. Sie dienen der ldentitätsfindung von Personen oder Gruppen beim Teilen des gemeinsamen Mahls: die holländische Erwtensoep, der Hotchpotch, die spanische Olla podrida, der argentinische Puchdro, die serbische Bohnensuppe, die italienische Minestrone, der deutsche Pichelsteiner Topf, die belgische Waterzoi sind die heimlichen Lieblingsspeisen. Suppen sind wahre Wunder, wenn es darum geht, sich mit den Essern zu arrangieren: Mit der Zeit werden Suppen immer besser, auch in der Kulturgeschichte nehmen sie ganz den Charakter ihrer Epoche an.
Copyright Hans Ottomeyer (1992). Wir bedanken uns bei Prof. Dr. Hans Ottomeyer für die Abdruckerlaubnis.
Quelle: Defusco Newsletter