Spektakel auf der Autobahn – Resümee

Auftaktveranstaltung: Nachbarschaftsfest am 6.11.2022 in der Villa Kuriosum

Beim Nachbarschaftsfest im Garten und Zirkuszelt der Villa Kuriosum stellte sich das Projekt vor und machte auf die aktuelle brenzliche Situation aufmerksam. Der selbstverwaltete Kulturort befindet sich auf einer der A100 Vorhalteflächen (in Lichtenberg) und bietet unter seinem jetzigen Namen seit 2012 Raum für nichtkommerzielle (Sub-)Kultur.

Das Programm bestand aus Puppentheater und Workshops für Kinder und Erwachsene, einem Gartenrundgang mit Wildkräutersammlung und Kompostworkshop, einer Diskussionsrunde zum Thema Pioniernutzungen der A100 Vorhalteflächen, einem Vortrag zur Sinneswahrnehmung von Pflanzen und zum krönenden Abschluss gab es Konzerte – Experimentelle Musik in 4 Akten.

Workshop am 20.11.2022 in der E-Lok und in der Zukunft am Ostkreuz

Ein grünes Band durch Berlin

Die geplante Verlängerung der A100 passt nicht in unsere Zeit, sie fördert eine Mobilität von gestern und verwandelt die Stadt in eine Betonwüste. Deswegen sind wir am 20. November in der Zukunft am Ostkreuz zu einem Workshop zusammengekommen, um gemeinsam Ideen für die Vorhalteflächen Alt Stralau 68 zu entwickeln, jener Fläche, wo – wenn es ganz schlecht laufen sollte – mal die A100 lang gehen wird. Der geplante 17. Bauabschnitt der Stadtautobahn bedroht das Areal am Ostkreuz, das ohnehin schon durch private Bauvorhaben wie etwa die von Trockland oder Pandion betroffen ist. Die Autobahn würde über die Spree und unter dem Ostkreuz hinweg zur Frankfurter Allee und zur Storkower Straße führen. Zu der mehr als vier Kilometer langen Trasse soll ein Doppelstocktunnel gehören – in einem Wohnviertel. Unser längerfristiges Ziel ist natürlich die Verhinderung des Abschnittes, doch wir wollen auch einen Blick in die Zukunft werfen und manifestieren, was wir uns für die Freiflächen wünschen. Die Auftaktveranstaltung dieses Projekts von Suppe&Mucke war ein Nachbarschaftsfest in der Villa Kuriosum, die bereits auf einer Vorhaltefläche steht und als Best-Practice Beispiel das Potential dieser Flächen aufzeigt. Im November haben wir lokale Initiativen und Vereine eingeladen und gefragt, wie wir eine Fläche nutzen wollen, die uns als Bürger*innen im besten Fall erhalten bleibt. Die etwa 40 Teilnehmenden haben sich während des Workshops in drei Gruppen zusammengeschlossen. Hier ihre Ideen für eine gemeinwohlorientierte, längerfristige und soziokulturelle Nutzung der Flächen:

  • Wohnen statt Autobahn: Bürger*inneninitiative A100

„Die Autobahn treibt mich um“, sagt eine Anwohnerin im Laskerkiez, während des Workshops der Bürger*inneninitiative A100. Wenn die Autobahn nicht käme, könnte eins der dringendsten Probleme Berlins bekämpft werden: die Wohnungsnot. Ein Teil der Trasse könnte für den Wohnungsbau genutzt werden. Die 53 Hektar Baugelände ließen sich durch einen Baustopp gewinnen, haben der Stadtplaner Tim Lehmann und die Stadtsoziologin Kerstin Stark vorgerechnet. Es gäbe dann Platz für 8.842 Wohnungen. Der Verein Stadtnatur spricht sich gegen die Autobahn als „grauem Band“ Berlins aus. Sie setzen diesem Irrsinn die Idee des grünen Wohnzimmers entgegen, denn “Wohnen ist draußen und zusammen“. Die Auffahrt zur Autobahn zum Beispiel wäre der ideale Ort für einen Bienenstock. Eine große Herausforderung wird die Mobilität am Ostkreuz. Die Gruppe wünscht sich eine Fußgänger*innen-Brücke oder einen Tunnel, um das Ostkreuz schneller zu überwinden.

  • Schnittstellen und Trägerschaften

Einen Raum weiter wird erst einmal über Grundsätzliches diskutiert: Wie können wir uns zusammenschließen? Was ist Selbstorganisation? Wie können wir uns so verbinden, dass unsere Stimme Gewicht hat? Nachdem die ersten Wünsche auf dem Whiteboard stehen, wird schnell klar, dass Konsens schwierig wird. Wer entscheidet wie darüber, was auf den Fläche passiert? In der Gruppe wird über die Nachhaltigkeit des Workshops diskutiert und eine Mailingliste aufgesetzt, die uns helfen soll, unsere Arbeit zu verstetigen. Wir möchten nicht organisierte Personen einbinden, um gemeinsam eine Entwicklung der Flächen von unten voranzutreiben. Ziel ist ein alternativer Plan. Wichtig dabei: ein klares Ziel und Konsens. So können wir als Ansprechpartner*innen von Bezirk und Verwaltung gemeinsam Einfluss üben.  

  • Jugend und Soziokultur: E-Lok und Clubcommission

Der Jugendclub E-Lok wünscht sich mehr Graffitiwände. „Die Wände verschwinden“, sagt Jens. Die nächste legale Wand ist der Mauerpark. Er sieht bei den Jugendlichen einen „Megabedarf“. Genau wie bei Sportmöglichkeiten. Seit Bodybuilding auf den sozialen Medien wieder ein Ding ist, wollen die Jugendlichen zu McFit. Nicht kommerzielle Orte, wo Sport getrieben werden kann, sind eher selten. Andere Wünsche wie Zirkus und Werkstatt verdeutlichen, dass es auf der Fläche Module braucht, die vielseitig genutzt werden können. Ein weiterer Wunsch der Gruppe ist ein Mahnmal. Während des zweiten Weltkriegs vollendeten Zwangsarbeiter*innen die letzten Kilometer deutscher Autobahnen. Für sie gibt es bis heute keinen Erinnerungsort. Welcher Ort könnte dafür passender sein, als der geplant 17. Bauabschnitt?

Friedrichshain hat ohnehin schon die höchste Bevölkerungsdichte Berlins – und der Druck auf die Flächen wird noch zunehmen, wenn die geplanten Büros realisiert werden. „Diese Menschen werden irgendwo essen gehen“, ist Jens sich sicher. „Es kommt viel auf uns zu“. Eine Strategie, um Konflikten vorzubeugen, ist Kommunikation. Die Clubcommission will die Anwohnenden im Vorfeld informieren, wenn z.B. Open-Airs geplant sind. Doch einige Wünsche werden in Konflikt zueinander stehen. Eine offene Frage bleibt: Wer hat die Verantwortung für die Flächen?

Fazit

Bei der Abschlusspräsentation stellen die einzelnen Gruppen ihre Ergebnisse vor. Wir sehen in den Vorhalteflächen großes Potential, um die angespannte Situation am Ostkreuz sozial verträglicher zu machen. Es gibt großes Interesse an einer gemeinsamen Vernetzung der verschiedenen Initiativen und Vereine. Offene Fragen sind die Trägerschaft der Flächen: Wer kann bei kollidierenden Wunschvorstellungen im Zweifelsfall vermitteln? Wie können wir uns nachhaltig miteinander vernetzten, um gemeinsam Einfluss zu üben? Wie gewichten wir unsere Wünsche, wenn nicht alle auf der Fläche erfüllt werden können? All dies sind Fragen, die wir im weiteren Prozess aushandeln.

english Version:

A green belt through Berlin

The planned extension of the A100 does not fit into our time. It promotes a mobility of yesterday and would turn the city into a concrete wasteland. That’s why we came together on November 20 for a workshop at Zukunft am Ostkreuz to develop ideas for the Alt Stralau 68 reserved area, the area where – if things are going go/develop really badly – the A100 will lead through one day. The planned 17th construction section of the urban freeway threatens the area at Ostkreuz, which is already affected by private construction projects such as those of Trockland or Pandion. The highway would run across the Spree River and under Ostkreuz to Frankfurter Allee and Storkower Strasse. The route, more than four kilometers long, would include a two-story tunnel – in a residential neighborhood. Our longer-term goal is to prevent the section of course, but we also want to take a look into the future and manifest what we would like the open spaces to look like. The kick-off event for this project by Suppe&Mucke was a neighborhood festival at Villa Kuriosum, already standing on a reserved area and so being a best-practice example for the potential of these areas. In November, we invited local initiatives and associations to ask for ideas how to use an area that, in the best case, will remain preserved for us as citizens. The 40 or so participants formed three groups during the workshop. Here are their ideas for a community-oriented, long-term and socio-cultural use of the space:

  • Space for living instead of freeway: Citizens‘ Initiative A100

„The autobahn is driving me crazy,“ a resident of the Laskerkiez says during the workshop of the Citizens‘ Initiative A100. If the freeway didn’t come, one of Berlin’s most urgent problems could be tackled: the housing shortage. Part of the marked-out route could be used for housing construction. Urban planner Tim Lehmann and urban sociologist Kerstin Stark have calculated that 53 hectares of building land could be gained by stopping the construction plans. There would then be space for 8842 apartments. The Stadtnatur Association speaks out against the autobahn as a „gray belt” of Berlin. They counter this insanity with the idea of a green living room, because „living  takes place outside and together“. The driveway to the autobahn, for example, would be the ideal place for a beehive. Mobility at Ostkreuz will be a major challenge. The group wishes for a pedestrian bridge or a tunnel to overcome Ostkreuz more quickly.

  • Interfaces and sponsorship

In another room,  fundamental issues are discussed: How can we join together? What is self-organization? How can we connect so that our voice carries weight? After focusing the first wishes collected on the whiteboard, it quickly becomes evident that consensus will be difficult. Who decides what will happen on the area and how? The group discusses the sustainability of the workshop and sets up a mailing list to help us make our work more permanent. We would like to involve non-organized people in order to jointly push for a development of the areas from the bottom. The goal is to establish an alternative plan. Important: a clear goal and consensus. As contact persons we will be able to jointly influence the district and the administration.

  • Youth and socioculture: E-Lok and Clubcommission

The E-Lok youth club would like to see more graffiti walls. „The walls are disappearing,“ Jens says. The closest legal wall is Mauerpark. He sees a „mega demand“ among young people, as well as for sports opportunities. Since bodybuilding on social media is in demand again, young people want to go to McFit. Non-commercial places where sports can be played are rather rare. Other wishes, such as for a circus and a workshop, illustrate the need for modules in the area that can be used in a variety of ways. Another desire of the group is a memorial. During the Second World War, forced laborers completed the last kilometers of German highways. There is still no memorial for them today. What place could be more suitable than the planned 17th construction section?

Friedrichshain already has the highest population density in Berlin – and the pressure on the area will increase even more if offices are being built as provided for in the plans. „These people will go somewhere to eat,“ Jens is certain. „There’s a lot coming our way.“ One strategy to prevent conflict is communication. The club committee wants to inform residents in advance when open-airs are planned, for example. But some wishes will conflict. There is an unanswered question remaining: Who is in the responsibility for the areas?

Conclusion

At the final presentation, the individual groups present their results. We think there is great potential in the reserved areas to make the tense situation at Ostkreuz more socially acceptable. There is great interest in a joint networking between the various initiatives and associations. Open questions concern the sponsorship of the areas: Who can mediate in case of conflicting wishes? How can we sustainably network with each other in order to exert joint influence? How do we rate our wishes if not all of them can be fulfilled on the site? These are all questions we will negotiate in the further process.

Abschlussverantaltung im ://aboutblank am 26.2.202

Beim großen Abschlussspektakel im ://aboutblank wurden zunächst die Ergebnisse vorgestellt, die bei der Ideenwerkstatt und der weiteren Vernetzung danach erarbeitet wurden. Verschiedene Initiativen, Vereine und Gruppen haben sich und ihre Arbeit an Infotischen vorgestellt. Der iranische Künstler Sadra Wejdani hat eine eigens für die Veranstaltung erstellte Videoinstallation gezeigt. Conrad Kunze hat aus seinem Buch “Deutschland als Autobahn” gelesen und mit einer polnischen Aktivistin über die Zwangsarbeit beim Autobahnbau im Dritten Reich gesprochen. Bei einer Podiumsdiskussion mit Politiker:innen aus Berlin wurde diskutiert, ob und wie der Weiterbau der A100 noch verhindert werden kann und wie die Vorhalteflächen vor profitorientierter Verwertung geschützt werden können. Den Abschluss dieses vielseitigen Tages haben zwei Konzerte von der ukrainischen Musikerin Ganna Gryniva und der Liedermacherin FaulenzA gebildet.

Fotos von René Killus (@tichyblue), Text „Ein grünes Band durch Berlin“ von Lena Fiedler